Alte Mauern, neue Gedanken

Mein Name ist Omar Al-Matroud, ich bin am 11.08.1995 in Syrien, Damaskus geboren. Bis zu meinem zwanzigsten Lebenslahr lebte ich an einem Ort namens Yarmuk. Der Krieg zwang mich, meine Heimat zu verlassen. Ich hatte alles was ein Mensch zum Leben braucht. Meine Familie gehört zur mittleren Schicht, wie die meisten Menschen aus Syrien. Wir sind fünf Geschwister, alle sind Akademiker, außer mir. Ich konnte mein Studium nicht beenden, wegen des Krieges. Mit 17arbeitete ich zum ersten Mal ehrenamtlich, danach suchte ich Gruppen, in denen ich ehrenamtlich arbeiten konnte. Ich wollte anderen Menschen helfen.

Am 24.10.2015 verließ ich Syrien. Ich floh in die Türkei, mit meinem Bruder und meiner Mutter. Wir hatten Verwandte dort. Ich arbeitete dort und besuchte den Sprachkurs. Ich lernte auch Türkisch. Am Tag arbeitete ich und abends ging ich zum Sprachkurs. Ich wollte gerne weiterstudieren, aber es war nicht einfach in der Türkei. Mein Bruder schlug vor nach Europa zu fliehen, sowie andere Menschen es auch getan hatten. Ich wollte nicht, ich wollte bleiben und weiterstudieren, ich dachte ich könnte es schaffen in der Türkei. Eines Tages, ich hatte Ferien, kam mein Bruder ins Zimmer. Ich war grade wach geworden, er sagte mir, ich solle meine Sachen packen, weil wir jetzt losfahren. Ich weigerte mich, ich sagte ihm, dass ich nicht gehen würde. Ich bin der jüngste in meiner Familie, ich hing sehr an meinem Vater und konnte mir nicht vorstellen, ohne ihn zu fliehen, er war ja noch in Syrien. Meine Mutter rief meinen Vater an, als ich seine Stimme hörte kamen mir Tränen. Ich weinte und weinte. Mein Vater sagte mir, dass diese Reise meine Zukunft sichern würde, ich weinte. Wieder weigerte ich mich, wie könnte ich fliehen, ohne meinen Vater? Ich fahre nicht ohne ihn. Mein Bruder packte seine Sachen, alles ging schnell. Als ich sah wie er sich bereit machte, sage ich ihm er solle warten. Ich sagte ihm, warte fünf Minuten und ich packe meine Sachen. Innerhalb einer Minute entschied ich mich zu fliehen, der Grund war, dass ich niemanden hatte außer ihm, meinen großen Bruder. Wenn er geht, gibt es keinen Menschen mehr, der mir den Rücken stärkt.

Wir flohen zu dritt, mein Bruder, mein Freund und ich. Mit dem Bus fuhren wir nach Izmir, als Syrer war es uns verboten innerhalb der Türkei zu reisen. Wir fanden in Izmir einen Schleuser. Ich war zu dieser Zeit 19 Jahre alt. Meine Jugend erlebte ich nicht. Alles was ich in Syrien sah, auf der Flucht und im Krieg, nahm mir die schönsten Jahre meines Lebens, Jahre, die ich nicht erleben durfte. Der Schleuser rief uns am selben Abend an und sagte uns, dass später eine Fahrt stattfindet. Um Mitternacht rief er uns an und sagte uns, er würde uns in 30 Minuten abholen. Wir wurden von einem Taxi abgeholt, der Taxifahrer arbeitete mit dem Schleuser, er wusste genau wo wir hin mussten. Wir fuhren zu einem Haus, dort trafen sich die Leute, die mit dem Schlauchboot fahren wollten. Wir versprachen uns vor der Reise, dass wir nicht mitfahren würden, wenn auf dem Boot Frauen oder Kinder sind, weil sie keiner beruhigen kann, wenn sie weinen, weil sie viel mehr leiden würden als wir. Am Haus waren viele Menschen, viele Frauen, viele Kinder. Wir riefen den Vermittler des Schleusers an und sagten ihm, wir fahren nicht mehr. Der Vermittler sagte uns, die Personen würden auf zwei Booten verteilt. Wir hatten keine Wahl. Ein anderes Boot käme erst in zwei Tagen. Wir entschieden uns also zu fahren.

Nach einer Weile kam der Schleuser und rief uns runter zur Straße. Jeder von uns hatte eine Tasche dabei und kaufte eine Rettungsweste vor der Flucht. Wir stiegen in einen LKW; mein Bruder, mein Freund und ich. Wir waren die ersten die einstiegen. Viele Menschen waren im Auto. Es war dunkel. Mein Bruder lief hinter mir und mein Freund lief hinter meinem Bruder. Wir hielten uns aneinander fest. Als ich am Ende des Autos ankam, spürte ich ein Metallstück, ich dachte es wäre ein Stuhl und wollte mich hinsetzen. Es war aber kein Stuhl, sondern ein Mann im Rollstuhl. Wir fuhren eine Stunde, keiner von den Menschen im Auto sprach arabisch. Wir kamen am Treffpunkt an. Die Schleuser kamen mit dem Boot, sie sagten uns, dass Handys verboten sind, Zigaretten verboten sind und laut zu sprechen ebenfalls verboten ist. Wir warteten zwei Stunden, sie stellten die Schlauchboote bereit. Wir zogen die Rettungswesten an bevor wir einstiegen. Wir hatten Angst, wurden unsicher. Keiner unserer Familie wusste, dass wir fahren, sie wussten, dass wir nach Europa gehen, aber wann, das wusste niemand. Der Anblick der vielen Menschen machte uns noch unsicherer. Ich stieg in das Schlauchboot, der Schleuser gab mir seine Nummer, weil ich der einzige mit einem Wasserdichten Handy war. Ich sollte das GPS nutzen, um ihm ständig unseren Standort zu schicken. Alles um mich herum war dunkel, ich hörte nur die Stimme des Fahrers. Ich sah nichts, oben keinen Himmel, neben mir kein Meer. Ich sah nichts.

Die türkische Meereswache fuhr die gesamte Fahrt hinter uns. Der Fahrer konnte das Boot nicht fahren, das Boot fuhr nach links und rechts. Zuerst war es sehr abenteuerlich. Wir waren 57 Personen und das Boot war sehr klein. Ich sollte dem Fahrer sagen, dass er sich beeilen soll, doch immer wenn er schneller fuhr geriet das Boot ins Schwanken. Es war gefährlich. Nach einer Weile hatte ich keinen Internetempfang mehr. Der Kontakt mit dem Schleuser brach ab. Die Wellen wurden immer stärker, es war kalt, wir hatten grade Januar. Ich sagte niemandem, dass mein Internet abgebrochen ist, sonst hätten sie Panik bekommen und die Situation wäre noch schlimmer ausgegangen. Ich schrie die Leute an, sie sollen sich nicht bewegen. Ich hatte Angst, aber versuchte sie zu verbergen. Ich zwang mich stärker als die anderen zu sein, aber innerlich fürchtete ich mich, fürchtete ich mich um mein Leben. Nach mehr als acht Stunden Fahrt, ging die Sonne auf. Ich und ein paar andere bemerkten, dass das Boot begann ins Wasser zu sinken. Umso weiter wir fuhren, umso weiter entfernte sich die griechische Insel von uns. Ich habe Bilder geschossen, auch wenn ich sie löschen würde, in meiner Erinnerung sind sie ständig präsent. Weil ich der einzige war der Englisch konnte, sollte ich die Meereswache anrufen, ich rief sie also an, jemand hob ab, sprach aber nicht. Ich sagte ihm, sie sollen uns retten. Eine Stimme fragte dann, wo wir seien. Woher sollte ich das schon wissen? Ich sagte ihm, wir seien in der Nähe der Insel, ca. 25km. Er sagte okay und legte auf. Als ich erneut anrief, ging ein arabischsprechender Mann dran. Er sagte mir, dass die Meereswache unterwegs sei, auf der Suche nach uns. Nach einer Weile kamen von zwei Seiten Rettungsschiffe. Das erste trug eine schwedische Flagge.

Sie sagten uns, wir sollen hinter ihnen herfahren. Ich sagte ihm, dass wir kein Benzin mehr hatten und Wasser in unser Boot dringt. Wir bekamen Wasser zu trinken und sie blieben neben uns stehen. Nach 15 Minuten fuhr das Schiff weg und es kamen zwei größerer Schiffe. Sie holten uns aus dem Schlauchboot. Erst die Frauen und Kinder, danach die anderen. Mein Bruder und ich waren die letzten auf dem Boot. Wegen der langen Fahrt, fiel es mir erst schwer meine Beine zu bewegen, mein Bruder musste mich hochtragen. Dann zog ich meinen Bruder aufs Boot. Wir kamen auf Samos, einer griechischen Insel, an. Sie war schön, klein und ruhig. Man brachte uns in ein Camp, dort wurden wir versorgt. Wir wollten einfach nur schlafen. Am nächsten, wurden wir untersucht und registriert. Ich übersetzte für die Menschen. Am dritten Tag, gegen Abend, trafen mein Freund und ich hinter dem Camp zwei Mädchen. Eine der beiden ist bis heute ein sehr wichtiger Mensch für mich. Wir bekamen Dokumente und durften mit dem Schiff nach Athen fahren.

In Athen angekommen, aßen wir erst einmal etwas, dann fuhren wir mit dem Bus zur mazedonisch griechischen Insel. Wir stiegen aus und liefen bis zur Grenze. An der Grenze standen Polizisten, einer von ihnen nahm mein Dokument und sagte mir, es sei gefälscht. Er nahm es mir ab. Die Personen hinter mir gingen zurück. Nach einer halben Stunde durften alle durchgehen, außer mir. Auch mein Bruder musste gehen, ich musste an der Seite stehen bleiben. Vier Stunden stand ich an der Grenze, es war kalt und regnete, bis mich eine Mitarbeiterin der UN sah. Sie fragte mich was passiert sei, ich erklärte es ihr. Sie ging weg und kam eine Weile später mit meinem Dokument. Ich konnte gehen. Alles war dunkel und der Boden war uneben, ich suchte nach einem Licht, einem Geräusch, irgendetwas. Weiter vor mir sah ich Container und Menschen die davor standen. Hier ist die Rettung, das sagte ich mir. Als ich dort ankam, standen viele Menschen dort. Ein Polizist am Ende des Raumes rief in die Menge, wer von den Personen Englisch sprechen könne. Ich meldete mich. Er rief mich zu sich und sagte mir, ich solle ihm helfen die Gruppen zu einem Platz zu führen. Mir war das egal, ich wollte nur zu meinem Bruder. Als sie mir in einem anderen Raum etwas zu essen gaben, sah ich um mich herum und ging, auf die Suche nach meinem Bruder und den anderen. Ich suchte und suchte, bis ich jemand fand den ich kannte, er sagte mir wo mein Bruder ist. Als ich ihn nicht fand, blieb ich stehen und rief seinen Namen. Er fand mich und rief mich zu sich. Als wir uns sahen, rauchten wir erstmal eine Zigarette zusammen.

Danach liefen wir zum Zug und fuhren nach Serbien. Der Mann mit dem Rollstuhl war mit uns gekommen, seine Familie hatte ihn alleine gelassen. In Serbien wurden wir registriert. Zwischen Serbien und Kroatien gab es eine große Durchsuchungsaktion, wir wurden alle durchsucht, vier Stunden später durften wir weiterziehen. Wir hatten nichts zu essen und nichts zu trinken dabei. Von Kroatien fuhren wir weiter nach Österreich, kurz vor der Grenze stiegen wir aus und fuhren mit dem Bus weiter. An der Grenze angekommen, wurden wir von der deutschen Polizei aufgenommen, sie fuhren uns mit dem Auto von Österreich nach Deutschland. Wir kamen in Deutschland, Passau an. Der Polizist fragte, wer in Deutschland bleiben und wer weiter in ein anderes Land möchte. Alle wollten bleiben, alle außer meinem Bruder, meinem Freund und ich. Wir stiegen aus dem Bus und gingen in ein Gebäude. Nach einer Stunde kam ein Dolmetscher, er rief unsere Namen. Er hielt mir ein Dokument hin und sagte mir, ich solle es unterschreiben. Ich weigerte mich und bat ihn, mir das erstmal zu übersetzen. Er sagte mir, dieses Dokument ist eine Abschiebung. Als ich ihn fragte, wohin wir jetzt gingen, sagte er, zurück nach Österreich. Sie brachten uns in ein Polizeiauto.

In Österreich kamen wir in ein Camp. Sie nahmen uns alle Dokumente. Als wir im Camp ankamen, begann ich zu weinen. Nach einer Weile kam erneut die Polizei, sie gaben uns eine Abschiebung aus Österreich. Keiner half uns, sie gingen und ließen uns alleine. Eine aus dem Camp sagte uns, wir können dahin gehen wo wir möchten. Wir gingen raus und suchten einen Bahnhof. Wir kamen an einem Bahnhof an, dort trafen wir einen Marokkaner. Es war sehr kalt. Wir fuhren nach Wien. Wir kauften uns Tickets nach Hamburg, von dort wollten wir nach Skandinavien. Aber weil wir in den falschen Zug stiegen, verpassten wir leider unseren Zug nach Hamburg. Unser letztes Geld hatten wir für die Tickets ausgegeben. Wir riefen Freunde an, damit sie uns Geld schickten, das taten sie. Wir kauften uns neue Tickets. Wir stiegen in den Zug und kamen erneut in Passau an. Die Polizei hielt uns an und fuhr uns zum gleichen Gebäude. Der Dolmetscher fragte, was wir hier machten. Wir sagten ihm, dass wir jetzt in Deutschland bleiben möchten. Wir fuhren weiter nach Frankfurt, zwei Tage später fuhren wir weiter nach Leverkusen. Dort lebe ich noch heute.

Mein Leben in Deutschland ist ein schönes Leben, ich habe keine Angst mehr, nicht mehr wie vorher. Heute, habe ich viel mehr Hoffnung und auch mehr Möglichkeiten. Ich bin Sozialbetreuer und spiele ehrenamtlich in einem Verein Handball. Ich lebe ein normales Leben, und möchte gerne jemand sein, der etwas auf dieser Welt hinterlässt, wenn er einmal geht. Ich möchte gerne, dass die Welt sagt, ich habe etwas hinterlassen, einen Fingerabdruck an diesem Ort. Ich möchte gerne die Welt zu einem besseren Ort machen. Meine Geschichten zu erzählen war schön, denn nur die Starken können sich an schlechte Momente erinnern und ich, fühle mich wie ein starker Mensch. Nachdem ich meine Geschichte mit dem Projekt A Million Stories geteilt habe, fühle ich mich voller Hoffnung, darauf dass meine Stimme, meine Geschichte und alles was ich erlebt habe, die Menschen erreicht.

Name des Geschichtenerzählers: Omar al-Matroud
Name des Interviewers: Sarah El Desoke
Herkunftsland: Syrien
Geschlecht: m
Alter: 23

Dublin Core: Sprache: de Thema: Flüchtlinge, Asyl, eine Million Geschichten, Syrien, Deutschland