Fremde Heimat

Mein Name ist Midyan, ich bin 32 Jahre alt und komme aus dem Iran. Ursprünglich bin ich ein Kurde aus dem Westen Irans. Im Iran habe ich Grafikdesign studiert, ich hätte gerne meinen Meister gemacht, aber ich musste fliehen. Ich musste mein Heimatland aus politischen Gründen verlassen. Ich liebe meine Heimat, ich denke, dass alle Menschen das tun.
Für mich ist die ganze Welt meine Heimat, aber mein Heimatland ist immer etwas anderes. Es bedeutet mein Haus, mein Geburtsort, die Zeit meines bisherigen Lebens. Ich habe meine eigene Werbeagentur geführt. Ich wollte erweitern. Mein Gehalt war nicht hoch, aber ich habe dort von ganzem Herzen gearbeitet, weil ich alles mit Liebe gebaut habe. Ich habe alles hinter mir gelassen, meine Agentur war mein Traum. Darüber bin ich heute noch sehr traurig.

Ich war bekannt in meiner Stadt, hier bin ich ein Fremder, das ist schwierig für mich. Ich hinterließ auch meine große Liebe im Iran, wir wollten heiraten. Ich wollte sie nachholen, das klappte leider nicht. Heute ist sie mit jemand anderem verheiratet. Ich musste aus politischen Gründen innerhalb von drei Tagen meine Heimat verlassen. Ich wuchs mit meiner Oma auf, sie liebt mich sehr, selbst ihr sagte ich nichts von meiner Flucht. Am letzten Tag vor meiner Flucht, sagte ich ihr, ich ginge auf eine kurze Reise. Sie ist schon älter und auch nicht mehr ganz gesund. Ich denke oft an sie. Meine große Liebe wartete auf mich in meiner Agentur, sie weinte sehr als wir uns verabschiedeten. Noch heute sehe ich dieses Bild vor mir.

Ich bin wie viele andere in einem Schlauchboot von der Türkei nach Griechenland nach Deutschland geflüchtet. Es war gefährlich, wir waren viele Leute, auf einem sehr kleinen Boot. Wir gingen nach innen 15 Tage, 8 Länder. Ich habe nicht daran geglaubt, jemals gesund nach Deutschland zu kommen. Umso mehr war ich überrascht, als wir die Grenze von Österreich nach Deutschland überquerten. Ich konnte kein Deutsch, ich kannte die Kultur nicht, es machte mir große Angst. Ich war nur ein Punkt in einem Land, in dem ich noch nicht weiß, was mich erwartet.
Unsicher, ich weiß nicht, was am nächsten Morgen passieren wird. Der Anfang war sehr schwierig, ich war bei meiner Ankunft schwach. In meiner Heimat war ich immer stark. Ich wollte immer höher und höher klettern, bis ich fiel. Das hat mich sehr schwach gemacht. Ich wollte stärker werden, jetzt war ich schwach. Ich bin ein Flüchtling, ein Ausländer, den niemand kennt. Ich habe nie Rassismus erlebt, aber innerlich weiß ich, dass ich ein Ausländer bin. Ich bin nicht wie jemand, der hier geboren wurde. Ich muss integrieren, es ist nicht so einfach. Es kostet viel Energie. Ich bin noch jung, aber in meiner Heimat habe ich schon viel erreicht. Jetzt fange ich ganz unten an, es fällt mir schwer. Ich sage nicht, dass es zu spät wäre. Ich kenne einen Mann im Alter von 70 Jahren, er ist in einem Deutschkurs.

Trotzdem ist unser Leben begrenzt und wir leben nicht tausend Jahre. Ich bin in einem Sprachkurs, letzte Woche hatte ich meine B2 Prüfung. Mein Wunsch ist es, wieder stark zu sein, wieder zu klettern, das ist mein Traum. Vielleicht nicht meine eigene Agentur, aber etwas in diese Richtung. Ich habe ständig neue Ideen, die ich umsetzen möchte, das einzige Hindernis ist die Sprache. Ich kann mich nicht ausdrücken. Ich denke, es wird einige Jahre dauern, bis man gut Deutsch spricht. In meinem Heimatland war ich sehr eloquent, ich habe im Marketing gearbeitet. Hier fühle ich mich wie auf dem Sprachniveau eines Kindes.
Ich möchte viele Sprachen lernen. Ich würde auch gerne wieder studieren, aber ich denke, dafür ist es schon zu spät. Vielleicht kann ich nicht den gleichen Traum leben wie im Iran, aber vielleicht passiert etwas Unerwartetes. Ich gebe niemals auf. Das kommt immer plötzlich im Leben. Ich bin dankbar, hier zu sein, mir wurde sehr geholfen. Ich möchte in Frieden mit den Menschen in Deutschland leben.

Am Silvesterabend gab es einen Vorfall 2016 in Köln. Ich war schon drei Monate in Deutschland. Am Silvesterabend fuhr ich zur Kathedrale. Viele Ausländer und Flüchtlinge waren dort, viele, die Probleme verursachten. In den nächsten Wochen kamen die Ereignisse in die Medien. Es macht mich sehr traurig, weil nicht alle Flüchtlinge gleich sind und nicht alle Deutschen gleich sind. Dieser Vorfall gab den Deutschen einen schlechten Eindruck von den Flüchtlingen. Wenn mich jemand einen Flüchtling nennt, denke ich, ist es okay, ich bin auch ein Flüchtling. Es hängt davon ab, wie er es sagt.

Ich dachte immer, alle Menschen sind gleich in Deutschland, langsam merke ich, es sind nicht alle gleich. Vielleicht steht es im Gesetzt, aber nicht im Verhalten der Menschen. Ich sage nicht, dass es dieses Problem nur in Deutschland gibt, es liegt in der Natur des Menschen. Es ist kein Rassismus, es liegt einfach in der Natur des Menschen. Das Leben hier fällt mir sehr schwer, auf mir lastet ein hoher Druck. Ich verließ alles und muss hier ein neues Leben anfangen. Mein Asylantrag wurde abgelehnt, ich muss ihn nochmal beantragen. Ich bin unsicher, weiß nicht was morgen kommt. Ich habe eine Wohnung, habe gearbeitet, besuche einen Deutschkurs, aber ich weiß nicht, ob ich bleiben darf. In Deutschland, fühle ich mich wie in einer fremden Heimat.

Name des Geschichtenerzählers: Midyan
Name des Interviewers: Sarah El Desoke
Herkunftsland: Iran
Geschlecht: m
Alter: 32

Dublin Core: Sprache: de Thema: Flüchtlinge, Asyl, eine Million Geschichten, Iran, Deutschland