Das einzige Land, das mir so viel gegeben hat

Mein Land ist das schönste Land auf der Welt. Früher, aber heute nicht mehr. Ich komme aus Syrien. Die Menschen damals haben sehr schöne Gedanken gehabt, aber durch die Verbreitung des Todes, durch den Krieg, haben sich die Gedanken der Menschen total verändert. Wir empfingen jeden Menschen, der an unseren Häusern vorüberging, ohne überhaupt zu wissen, wer er ist. Unsere Türen waren offen für jeden Menschen. Aber heute, wo sich die Armut verbreitet, verstecken sich die Menschen vor sich selber. Denn wenn sie jemanden sehen, sagen sie ihm nicht mehr „Komm rein“, weil sie nichts mehr besitzen, was sie ihm anbieten können. Früher haben wir den Fremden gemocht. Aber heute ist es nicht mehr so, ehrlich gesagt. Früher kam der Fremde zu uns als Gast, aber heute kommt er zu uns als Mörder. Ich habe im Libanon gelebt. Und jedes Jahr bin ich für eine Woche in meine Heimat gereist. Jedes Mal bevor ich nach Syrien gereist bin, also zwei Tage vorher, konnte ich nicht schlafen vor lauter Freude.

Ich bin in Deutschland. Hier habe ich sehr viele nette Menschen kennengelernt. Die Deutschen kann man nur respektieren. Sie sind respektvoll, denn das, was sie tun, macht kein Land auf der Welt. Nach Deutschland sind 2 Millionen Flüchtlinge gekommen. Natürlich wird es dabei gute und nicht gute geben. Das ist normal. Die schlechten Dinge, die manche Flüchtlinge machen, sollten nicht auf alle Flüchtlinge übertragen werden. Ich habe einen Nachbarn. Sein Arm und sein Bein sind gelähmt. Ich hatte einmal um 6 Uhr morgens einen Termin beim Jobcenter. Und dieser Nachbar ist mitgekommen, morgens, und hat mich begleitet. Was soll ich über ihn sagen. Obwohl er nicht laufen kann und all das, ist er mit mir zu einem Termin gegangen, wo wir länger als eine Stunde fahren mussten. Sowas kommt nur von Deutschen.

Es gibt Dinge in Deutschland, die unterscheiden sich von unseren. Als wir in unseren Ländern waren, haben wir ehrlich gesagt gedacht, dass das europäische Volk ein schlechtes ist. Aber als wir hier hingekommen sind, haben wir das Gegenteil gesehen. Hier in Deutschland als syrischer Mensch hat man mir so viele Rechte gegeben, die ich in meiner Heimat nicht hatte. Selbst wenn hier jemand sauer auf einen ist, wird der nur seine Stimme erheben und das war es dann auch, aber mehr als das wird hier nicht passieren. Mein Wunsch ist es, hier in Deutschland zu bleiben und meine Frau und meine Kinder hierhin zu bringen. Denn Deutschland ist das Land des Friedens für meine Kinder. Ich bin nicht wegen mir gekommen. Ich will meinen Kindern Sicherheit geben.

Ich habe fünf Kinder. Der älteste ist 15, die kleinste 5. Ich unterhalte mich mit vielen Syrern, um herauszufinden, was ich selbst möchte. Sie sagen: Unser Land hat uns verkauft und verraten, warum sollen wir zurückgehen nach Syrien?! Ich habe mich an das Leben hier gewöhnt, ich kann nicht mehr zurückgehen. Ich bin seit drei Jahren hier. Ich habe dieses Verhalten hier gesehen. Im Libanon hatte ich keinen Namen, man hat mich nur „Syrer“ genannt. Wie alle Syrer. Wenn wir Araber so miteinander umgehen, ist es hier doch viel besser. Selbst wenn der Krieg vorbei ist, wird alles zerstört sein. Wo soll ich hingehen? In ein zerstörtes Haus, in verrückte Gedanken? Früher war es wirklich anders. Ich komme aus Idlib. Ich kann nicht mehr mit diesen Menschen zusammenleben. Ich will von dieser Krankheit freiwerden, die sich nennt: Familiennachzug. Und ich will endlich diese Sprache sprechen, ich habe sogar einen grauen Bart bekommen. Aber ich habe ihn gefärbt.

Die Sprache ist schwer. Ich wünsche, dass meine Familie hier bei mir ist, dass wir hier gemeinsam leben. Ich will nach der Schule auch gern Vollzeit arbeiten im Supermarkt, im Einzelhandel. Ich möchte das, was jeder Mensch auf dieser Welt wünscht. Ich möchte, dass meine Kinder zur Schule gehen, ich möchte arbeiten, meine Frau kann auch gern arbeiten, all das. Davon träume ich, seit ich klein bin. Ich wünsche mir noch eine Sache von den Leuten, die hierhin kommen, es sind meine Landsleute: Ich will nichts von ihnen sehen, das diesem Land schadet. Ich wünsche mir als Syrer nicht, dass ein anderer Syrer etwas hier macht in dem Land, das mir als einziges, so viel gegeben hat. Ich will nicht in den Nachrichten lesen, ein Syrer hat dies oder jenes Schlechtes in diesem Land gemacht. Wenn ich im Fernseher sehe, dass ein Syrer ein Problem gemacht hat, dann ist es nicht nur bei mir so, sondern bei allen Syrern, dass wir uns aufregen, dass wir uns fragen: Was hast du davon gehabt?! Ich wünsche mir, dass diese Menschen sich ans deutsche Verhalten anpassen. Ich kenne auch viele Syrer, die deutsche Frauen geheiratet haben. Ich habe es ihnen geraten. Selbst die syrischen Frauen, wollen keine syrischen Männer mehr haben. Eine Hochzeit in Syrien ist nicht mehr möglich, wir können die 10.000 Euro nicht bezahlen. Wir leben vom Jobcenter, wie sollen wir das bezahlen?

Name des Geschichtenerzählers: Murad Alhwayan
Name des Interviewers: Sarah Dudek und Sarah El Desoke
Herkunftsland: Syrien
Geschlecht: m
Alter: 36

Dublin Core: Sprache: de Thema: Flüchtlinge, Asyl, eine Million Geschichten, Syrien, Deutschland